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Ungleiche Teilhabe: Rom*nja und Sinti*ze weiter in Bildungschancen benachteiligt

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RomnoKher und Stiftung EVZ legen Studie zur Bildungsteilhabe der Minderheit vor.

Die RomnoKher gGmbH hat mit Unterstützung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) eine neue Studie zur Lage der Sinti*ze und Rom*nja (Romani people) in Deutschland vorgelegt. Die „RomnoKher-Studie 2021. Ungleiche Teilhabe. Zur Lage der Sinti und Roma in Deutschland“ untersucht die Erfahrungen und Qualifikationen von Sinti*ze und Rom*nja im deutschen Bildungssystem von der Kita bis zur Berufsausbildung.

Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Bildungssituation von Rom*nja und Sinti*ze im schulischen Bereich deutlich, aber im Ausbildungsbereich nur leicht verbessert hat. Für die Schulbesuchsquote in der Primarstufe und der Sekundarstufe 1 sind keine wesentlichen Unterschiede zwischen den befragten jungen Sinti*ze und Rom*nja und dem bundesweiten Durchschnitt zu erkennen. Im Vergleich zur RomnoKher-Studie aus dem Jahr 2011 hat sich der Anteil an Abiturient*innen von 2 Prozent (+51 Jahre) auf 17 Prozent (18-25 Jahre), von Haupt- & Realschulabsolvent*innen von 30 auf 65 Prozent erhöht. Demgegenüber fiel der Anteil der Sinti*ze und Rom*nja ohne Schulabschluss von 55 Prozent auf unter 15 Prozent. Jedoch ist der Unterschied zur Gesamtbevölkerung signifikant: Der Anteil von Erwachsenen aller Altersstufen ohne Schulabschluss liegt in der Bundesrepublik heute bei 5 Prozent. Immer noch 40 Prozent der 18- bis 50-jährigen Befragten haben keinen beruflichen Abschluss, in der Bevölkerungsmehrheit haben hingegen 10 Prozent keine Ausbildung.

„Das Menschenrecht auf Bildung spielt eine Schlüsselrolle für die gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft.“

Dr. Petra Follmar-Otto, Vorständin der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ)

Zudem haben 60 Prozent der befragten Rom*nja und Sinti*ze in der Schule Diskriminierung und Rassismus erlebt.

Die Studie macht gleichzeitig die gestiegenen Erwartungen und Potenziale der Minderheit deutlich. So gaben 85 Prozent der Befragten an, dass es zu ihrem kulturellen Selbstverständnis gehört, Romanes, die Sprache der Rom*nja und Sinti*ze, zu sprechen und zu pflegen. Knapp ein Viertel der Befragten spricht mindestens drei Sprachen.

Dr. Petra Follmar-Otto, Vorständin, Stiftung EVZ: „Das Menschenrecht auf Bildung spielt eine Schlüsselrolle für die gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft. Dass sich die Chancen in einigen Abschnitten der Bildungsbiographien von Sinti*ze und Rom*nja verbessert haben, kann uns ermutigen, aber nicht zufrieden stellen. Für eine vollständige Bildungsteilhabe braucht es drei Schritte: erstens gezielte Maßnahmen zur Förderung bildungsbenachteiligter Sinti*ze und Rom*nja, zweitens eine antiziganismus- und diskriminierungssensible Entwicklung des Bildungssystems und drittens die Aufnahme des Themas in die Bildungsforschung.“

Die Befragungsergebnisse zeigen auch die Langzeitwirkungen der nationalsozialistischen Verfolgung auf. Ausgrenzung und Schulverbot, Deportation und Vernichtung der Rom*nja und Sinti*ze durch die Nationalsozialisten wirken sich bis heute aus. So entstanden Bildungsdefizite in den Elterngenerationen, die Einfluss auf die Bildungschancen der Nachkommen bis hin zu heutigen jungen Sinti*ze und Rom*nja haben.

Die Europäische Kommission hat mit dem Europäischen Rahmen für Gleichbehandlung und Inklusion von Sinti und Roma bis 2030 den Kampf gegen Antiziganismus und für mehr Teilhabe europaweit aufgenommen. In Deutschland wird der im Koalitionsvertrag vereinbarte Bericht der unabhängigen Kommission Antiziganismus für Frühjahr 2021 erwartet.

Arbeit der Stiftung EVZ zur Bildungsteilhabe von Rom*nja und Sinti*ze

Die Stiftung EVZ förderte im Jahr 2011 die erste „Studie zur aktuellen Bildungssituation deutscher Sinti und Roma“. Sie nahm deren alarmierende Befunde zum Anlass, sich seitdem verstärkt für eine gleichberechtigte Bildungsteilhabe von Rom*nja und Sinti*ze einzusetzen. So richtete die Stiftung EVZ einen bundesweiten Arbeitskreis ein, der in Zusammenarbeit mit Vertretungen von Bund, Länder, Kommunen, Wissenschaft, Stiftungen sowie Sinti*ze und Rom*nja-Selbstorganisationen Empfehlungen formulierte.

Das Förderprogramm „Stärkung der Bildungsteilhabe und der Selbstorganisationen von Sinti*ze und Rom*nja in Deutschland“ in Kooperation mit der Freudenberg Stiftung trägt zur Umsetzung dieser Empfehlungen bei. Die aktuelle Ausschreibung läuft bis 15. März 2021. Gesucht werden Projektideen, welche die Bildungssituation von Sinti*ze und Rom*nja verbessern und Selbstorganisationen stärken.

Über die „RomnoKher-Studie 2021. Ungleiche Teilhabe. Zur Lage der Sinti und Roma in Deutschland“

Eine bundesweite Arbeitsgemeinschaft der RomnoKher gGmbH organisierte die Befragung für die Studie. RomnoKher wertete 614 Interviews mit einheimischen und zugewanderten Rom*nja und Sinti*ze aus allen Bundesländern aus über 700 durchgeführten internetgestützten Befragungen von September bis Dezember 2020 aus. Die Studie füllt eine Lücke in der Bildungsforschung, denn bisher liegen kaum substanzielle Forschungen zur Bildungsteilhabe von Sinti*ze und Rom*nja in Deutschland vor. Die letzte umfangreichere bundesweite Studie wurde vor zehn Jahren durchgeführt.

Über die Stiftung EVZ

Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) bezeugt die politische und moralische Verantwortung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft für das nationalsozialistische Unrecht. Auseinandersetzung mit der Geschichte, Handeln für Menschenrechte und Engagement für Opfer des Nationalsozialismus sind die Handlungsfelder, in denen die öffentlich-rechtliche Stiftung heute tätig ist. Jährlich werden rund 300 Projekte in 20 Ländern von der Stiftung EVZ gefördert.

Gründungsziel im Jahr 2000 war, Zahlungen an ehemalige NS-Zwangsarbeiter*innen zu leisten. Die Auszahlungsprogramme dauerten von 2001 bis 2007. An 1,66 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter*innen und Rechtsnachfolger wurden 4,4 Milliarden Euro ausgezahlt. Das Vermögen der Stiftung wurde hälftig von der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft und vom Bund eingebracht. Ein Teil des Vermögens war von Beginn an als Kapitalstiftung für die Projektförderung bestimmt.

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