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WTT: Nathan der Weise als Bühnenkollage

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Bühnenkollage nach dem dramatischen Gedicht von Gotthold Ephraim Lessing im Westdeutschen Tourneetheater (WTT) in der Bismarckstraße 138 in Remscheid.

„Alter schützt vor Weisheit nicht“ – so abgewandelt möchte man den Sinnspruch auf die Aufführung des Westdeutschen Tourneetheater vom 22.01.2022 anwenden! Denn die Schauspielerin und die Schauspieler samt Geigen-Virtuosen Stefan Steinröhder verstanden es auf hervorragende Art und Weise Lessings Stoff in die Moderne zu überführen und Sie zeitgemäß zu inszenieren.

Die Inszenierung, klug durch machbare Doppelrollen und ein bewegliches Bühnenbild in den Fokus gesetzt, verstanden es die Protagonisten dem Stück und Ihren Rollen Charakter und Unterscheidbarkeit einzuhauchen.

Zur Geschichte

Nathan der Weise spielt zur Zeit des Dritten Kreuzzuges (1189–1192) während eines Waffenstillstands in Jerusalem. Protagonist ist der jüdische Kaufmann Nathan, der für Humanität, Toleranz und Religionsfreiheit steht. Damit entspricht er dem Menschenbild der Aufklärung. Im Stück gelingt ihm die Versöhnung der drei monotheistischen Weltreligionen.

Nathan (Björn Lukas), ein reicher jüdischer Kaufmann, kommt von einer langen Geschäftsreise zurück. Er erfährt, dass es in seiner Abwesenheit zu einem Brand in seinem Haus gekommen sei. Ein christlicher Tempelherr (Björn Lenz) habe seine Tochter Recha (Katrin Mattila) gerettet. Nathan hört außerdem, dass jener Ordensritter sein Leben dem Sultan (Aydin Isik) verdanke. Der habe ihn als einzigen von zwanzig gefangenen Tempelherren begnadigt, weil er dem verschollenen Bruder des Sultans, Assad, ähnlichsehe.

Nathan möchte sich bei dem Tempelritter für die Rettung seiner Tochter bedanken. Er schickt Rechas Erzieherin, die Christin Daja (hervorragend mit Charme und Witz ebenfalls Aydin Isik!), mit einer Einladung zu ihm. Der Tempelherr lehnt ab, da er mit Juden nicht verkehren will. Doch Nathan gibt nicht auf und fängt den Ordensritter auf der Straße ab. Dieser verhält sich Nathan gegenüber zunächst sehr abweisend, lässt sich dann aber zunehmend von seiner toleranten Art einnehmen.

Unterdessen denkt Sultan Saladin darüber nach, wie er Frieden zwischen den Christen und Muslimen schaffen könne. Er weiß, dass seine Kassen leer sind und er seinen Gegnern nicht viel anzubieten hat, damit diese in den Frieden einwilligen. Auf der Suche nach einem Kreditgeber lässt er Nathan rufen. Dieser ist erstaunt, als der Sultan ihm plötzlich die Frage stellt, welche Religion er für die „wahre“ halte. Nathan wittert eine Falle; er weiß, dass eine falsche Antwort ihn seinen Kopf kosten könnte. Deshalb greift er auf eine alte Geschichte, die Ringparabel, zurück.

Die Ringparabel

In dieser Geschichte geht es um eine Familie, in deren Tradition ein besonderer Ring vom Vater an den jeweils liebsten Sohn vererbt wird. Der Träger des Rings – eine demütige Haltung vorausgesetzt – ist beliebt bei Gott und den Menschen. Ein Vater jedoch, der drei Söhne hat und alle gleichermaßen liebt, kann sich nicht entscheiden, an welchen der Söhne er den Ring vererbt. Deshalb beschließt er, von dem Ring Duplikate anzufertigen. Dann verteilt er die identischen Ringe an die Söhne. Nach dem Tod des Vaters kommt es zu einem Streit zwischen den Brüdern, welcher der echte Ring sei. Der angerufene Richter weigert sich ein Urteil zu sprechen. Er sagt vielmehr, jeder solle seinen Ring als den »wahren« ansehen, denn alle spiegeln die Liebe des Vaters wider. So sei es auch mit den Religionen.

Der Sultan ist beeindruckt von der Parabel und bietet Nathan seine Freundschaft an. Zur selben Zeit besucht der Tempelherr Nathans Haus, wo er nur Recha und Daja antrifft. Als dem jungen Mann bewusst wird, dass er sich in Recha verliebt, zieht er sich zunächst zurück.

Schließlich kann der Tempelherr seine Liebe nicht länger unterdrücken. Ungeachtet ihres unterschiedlichen Glaubens hält er um Rechas Hand an. Nathan erkundigt sich daraufhin bei einem Klosterbruder nach der Herkunft des Tempelherrn. Heimlich trifft sich in der Zwischenzeit Daja mit dem Ordensritter. Sie verrät ihm, dass Recha nicht die leibliche Tochter Nathans sei, sondern dessen Pflegetochter und zudem christlicher Herkunft.

Im Palast des Sultans kommt es zu einer Begegnung zwischen dem Tempelherrn und Nathan. Dabei stellt sich heraus, dass der Ordensritter und Recha Bruder und Schwester sind. Sultan Saladin findet dies in einem Abstammungsbuch bestätigt, das Nathan von einem Klosterbruder erhalten hat. Erstaunt stellt Saladin fest, dass es sich bei dem leiblichen Vater von Recha und dem Tempelherrn um seinen verschollenen Bruder Assad handelt.

Der christliche Ordensritter und die Pflegetochter eines jüdischen Kaufmanns sind also Neffe und Nichte eines muslimischen Sultans. Somit gehören alle drei Weltreligionen ein und derselben Familie an.

Unter der Regie von Claudia Sowa wurde den Zuschauerinnen und Zuschauern ein kurzweiliger Abend beschert, ohne moralischen Fingerzeig, jedoch mit viel Raffinesse, was zum Nachdenken und Vergleichen mit dem Jetzt beflügelte. Anachronistische Einschübe taten dem Stück gewollt gut und auch das Einweben von komischen Momenten lockerte den ernsten Stoff auf.

Daher: Prädikat besonders wertvoll!

Wer Lust und Laune bekommen hat, sollte auf der Seite des WTT (www.schauspiel-remscheid.de) nach weiteren Aufführterminen Ausschau halten, wie etwa am Freitag, 18. Februar 2022 um 19.30 Uhr!

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