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Remscheid

Bleibt Remscheid fair und nachhaltig?

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Fishbowl-Diskussion mit Stadtkämmerer Sven Wiertz, Martin Sternkopf, Liz Erbe, Mathias Schmid, Elisabeth Dreher und Johannes Haun im Röntgen-Museum.

Die Tour de Fair ist in diesem Jahr auch im Bergischen Land unterwegs. Nach dem Besuch des Flair-Weltladens in Lüttringhausen stand am 6. August 2019 unter Anderem das Röntgen-Museum auf dem Programm der 24 fahrradfahrenden Weltladen-Mitarbeiter, die aus ganz Deutschland kommen und in einer Woche das Gebiet zwischen Wupper und Ruhr nachhaltig bereisen. Kontakte zu Weltläden und anderen nachhaltig und fair wirkenden Institutionen sind dabei selbstverständlich.

Sophia Merrem, Sprecherin der Steuerungsgruppe Fairtrade-Town Remscheid begürßt die Anwesenden. Foto: Peter Klohs
Sophia Merrem, Sprecherin der Steuerungsgruppe Fairtrade-Town Remscheid begürßt die Anwesenden. Foto: Peter Klohs

Aus diesem Anlass fand am Abend des 6. August im Röntgen-Museum eine Fishbowl-Diskussion mit hochkarätigen Gästen aus Politik und Gesellschaft statt. „Remscheid fair und nachhaltig – Vision oder Alltag?“ lautete das vielversprechende Motto des Abends. Unter der Moderation von Andrea Staudt (Regionales Bildungsbüro Remscheid) hatten sich eingefunden: Stadtdirektor und Kämmerer Sven Wiertz, Sportamtsleiter Martin Sternkopf, Johannes Haun vom Flair-Weltladen in Lüttringhausen, Liz Erbe (Foodsharing Remscheid) als Vertretung für die erkrankte Thordis Kotthaus (Kotthaus Berufsbekleidung) und Elisabeth Dreher vom Weltladen Weilburg (Mittelhessen).

Schwierige Situation für Remscheid

Johhannes Haun (li.) vom Flair-Weltladen in Lüttringhausen stützt die Thesen von Stadtkämmerer Sven Wiertz. Foto: Peter Klohs
Johhannes Haun (li.) vom Flair-Weltladen in Lüttringhausen stützt die Thesen von Stadtkämmerer Sven Wiertz. Foto: Peter Klohs

Sven Wiertz zeichnete in seiner Eingangsrede das bekannte Bild Remscheids: Die Stadt ist heillos überschuldet und befindet sich in einem anstrengenden Strukturwandel, ist und bleibt jedoch fair und nachhaltig. Wiertz lobte ausdrücklich das Engagement der Friday-for-Future-Bewegung, weil diese das nötige Bewusstsein in weiten Teilen der Bevölkerung geschaffen habe. Auch die Arbeit der Fairtrade-Steuerungsgruppe erwähnte der Stadtdirektor als wichtig und richtig.

In der ersten Runde der Diskussion berichtete Johannes Haun über die Renovierung des Lüttringhauser Flair-Weltladens und die generelle Ausrichtung desselben. Die Hinzufügung eines Buchladens hat dafür gesorgt, dass das Ladenlokal in der Gertenbachstraße weiterhin erfolgreich tätig sein kann. Elisabeth Dreher sprach für die Gäste aus den Weltläden ihren Dank für die außerordentliche Gastfreundschaft aus und erinnerte an die über 800 Weltläden landesweit. Martin Sternkopf gab eine kurzen Bericht über die Nachhaltigkeitsbemühungen des Remscheider Röntgenlaufs, der mit über 4000 Teilnehmern und 15000 Besuchern zu den größten Veranstaltungen in der Region zählt. Durch verschiedene Maßnahmen ist es den Organisatoren gelungen, seit dem Jahre 2016 80% Müll zu vermeiden. Das ginge von Faltbechern für die Läufer bis hin zu wiederverwertbaren Medaillen.

Foodsharing in Remscheid

Liz Erbe brachte die Initiative Foodsharing nach Remscheid. Foto: Peter Klohs
Liz Erbe brachte die Initiative Foodsharing nach Remscheid. Foto: Peter Klohs

Elisabeth Erbe berichtete als Gründerin der Foodsharing-Bewegung in Remscheid über ihre Beweggründe. Nach wie vor werden (vom Einzelhandel) unfassbar viele Lebensmittel weggeworfen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum zwar abgelaufen, die nachweislich aber ohne Beeinträchtigung seien und gut verzehrt werden könnten. Aus ihrer im Oktober 2016 gegründeten Bewegung sind in Remscheid inzwischen 43 Betriebe geworden, die in allen Stadtteilen dafür sorgen, dass gerettete Lebensmittel weitergegeben und eben nicht weggeworfen werden. Das sind seit 2016 inzwischen über 262 Tonnen (nur in Remscheid).

Ob Zero Waste BErgisches LAnd oder Fragen zu Foodsharing contra Tafel - Viele nachhaltige Bereiche wurden tangiert. Foto: Sascha von Gerishem
Ob Zero Waste BErgisches LAnd oder Fragen zu Foodsharing contra Tafel – Viele nachhaltige Bereiche wurden tangiert. Foto: Sascha von Gerishem

Einige Gäste nahmen das Angebot, sich an der Diskussion zu beteiligen, gerne an und stellten zum Teil auch kritische Fragen, vor allem an den anwesenden Stadtdirektor. Herr Wiertz wäre doch praktizierender und bekennender Kaffeetrinker, wusste eine Fragestellerin, warum denn beim Röntgenlauf noch kein fair gehandelter Kaffee angeboten würde? Wiertz und Martin Sternkopf versprachen, diese Anregung als Denkanstoß mitzunehmen.

Fairer Handel und DOC – wie passt das zusammen?

Ein Anwohner hat Fragen zum DOC in Lennep. Foto: Sascha von Gerishem
Ein Anwohner hat Fragen zum DOC in Lennep. Foto: Sascha von Gerishem

Ein Lenneper Anwohner bezog sich in seiner Frage auf das geplante DOC. Werde es im Outlet Center nur die gemeinhin bekannten Einzelhändler (Großkonzerne) geben – oder vielleicht doch das eine oder andere Geschäft, das mit fair gehandelten Waren und/oder Nachhaltigkeit arbeiten würde? Sven Wiertz dazu: „Im Vertrag mit dem Investor ist Klimaschutz ein sehr wichtiger Punkt – und ausdrücklich erwähnt und verankert. Über die Herkunft der im DOC angebotenen Ware sei nichts vereinbart. Das wäre auch unüblich.

Johannes Haun beendete diesen Diskussionspunkt mit der Feststellung, dass man solche Fragen auch sehr gut „von unten“ steuern könne. Erhöhte Nachfragen potenzieller Käufer/innen nach fair gehandelter Kleidung verändere das Verhalten des Einzelhändlers.

Grenzen des Wachstums

Die Fishbowl. Foto: Sascha von Gerishem
Die Fishbowl. Foto: Sascha von Gerishem

Zum Ende des Diskussionsabends wurde es dann doch noch handfester: „Wir brauchen Gesetze für die Nachhaltigkeit!“ forderte ein Gast aus Minden, „das bringt viel mehr, als die Menschen mühsam zu sensibilisieren.“ Lauter Beifall für diese Forderung. Volker Beckmann vom Kulturkreis in Lüttringhausen fügte an, dass die Politik nun schnell handeln müsse, ansonsten gerade die jungen Menschen ihr Kreuz bei der nächsten Wahl dort machen würden, wo es allen nicht gefiele. Allgemeine Kapitalismuskritik schloss sich an. („Ist immer mehr Wachstum das, was wir wirklich wollen?“) Sven Wiertz stellte dazu fest, dass Remscheid schon längst keine Wachstumsregion mehr sei. „Wuppertal und Solingen im Übrigen auch nicht. Man hat uns abgehängt.“

Vielleicht hat diese Veranstaltung – von den weltbesten Tortellini Sascha von Gerishems veredelt – ja den einen oder anderen Zuhörer zu einem Bewusstseinswandel angeregt. Trotz der am Ende düster werdenden Stimmung im Gespräch konnte man diesen Eindruck gerne mitnehmen.

Die Weltladengäste aus ganz Deutschland reisen weiter: Über Wuppertal geht es nach Essen, bevor die Gruppe in Dinslaken ihre Fahrräder wieder in die Züge schiebt und nach Hause fährt: gleich ob in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen oder Baden-Württenberg. Das Thema „Fair handeln und Nachhaltigkeit“ vereint sie (uns) alle.

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