Diese Themen waren am 11. Februar 2021 Gegenstand von Berichterstattung in der Presse.
Rechtsextremismus
2020 gab es 2275 antisemitische Straftaten – so viel wie seit 2001 nicht mehr
Die Polizei hat 2020 so viele judenfeindliche Angriffe festgestellt wie nie zuvor seit 2001. Für das vergangene Jahr seien „bisher insgesamt 2275 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund gemeldet“ worden, berichtet die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) und ihrer Fraktion. Das Papier liegt dem Tagesspiegel vor.
Bei 55 Delikten handelte es sich um Gewalttaten. Die Polizei konnte 1367 Tatverdächtige ermitteln. Festgenommen wurden jedoch nur fünf Personen, Haftbefehle gab es keine.
Die Zahl der Straftaten wird wahrscheinlich noch steigen, da die Polizei erfahrungsgemäß noch Delikte aus dem Vorjahr nachmeldet. Aber auch jetzt schon ist deutlich, dass der Rekordstand von 2019 übertroffen wurde. Damals hatte die Polizei in ihrer endgültigen Bilanz 2032 antisemitische Straftaten gemeldet.
Im vergangenen Jahr nahm judenfeindliche Kriminalität nun um noch mindestens elf Prozent zu. Die Polizei registrierte im Durchschnitt pro Tag sechs antisemitische Delikte. Die bislang gezählten 2275 Straftaten sind die höchste Marke, seit die Polizei 2001 das Erfassungssystem „“Politisch Motivierte Kriminalität (PMK)“ einführte. Mit den Zahlen wachsen die Sorgen beim Zentralrat der Juden in Deutschland. „Angesichts der zahlreichen antisemitischen Vorfälle auf den Corona-Leugner-Demos im vergangenen Jahr und der Verschwörungsmythen im Netz war leider damit zu rechnen, dass die Zahl der antisemitischen Straftaten erneut steigt“, sagte Präsident Josef Schuster am Donnerstag dem Tagesspiegel. „Jetzt ist das traurige Gewissheit.“ Die vorläufige Statistik zeige, „dass die Radikalisierung der Gesellschaft voranschreitet und der Respekt vor Minderheiten sinkt“, warnte Schuster.
Mit Bestürzung reagierte auch der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, auf den Höchststand judenfeindlicher Delikte. Der Anstieg „muss uns eine Warnung sein“, sagte Klein dem Tagesspiegel. „Im Zuge der sogenannten Corona-Proteste wurden Grenzen des Sagbaren verschoben, die Shoah relativiert und altbekannte antisemitische Hassbilder erneuert.“ Die Zunahme der Straftaten sei „ein deutliches Zeichen, dass die Demokratie sich besonders in Krisen wie der andauernden Pandemie wehrhaft zeigen muss“. Der gesellschaftliche Zusammenhalt „misst sich gerade hier in Deutschland daran, wie fest wir gegen Judenhass zusammenstehen“, mahnte Klein.
Aus Sicht der Polizei sind die meisten antisemitischen Delikte rechten Tätern zuzuordnen. Islamistische, linke und anders motivierte Judenhasser sind in der Statistik nur eine kleine Minderheit.
Die Zunahme judenfeindlicher Angriffe verläuft parallel zu einer weiteren dramatischen Entwicklung. Anfang Februar berichtete die Bundesregierung von einem Anstieg der Kriminalität von Neonazis und anderen Rechten. Die Polizei hat 2020 nach bisherigen Erkenntnissen mehr als 23.000 einschlägige Straftaten festgestellt. Das ist der zweithöchste Stand seit 2001. Die Zahl ist Angaben der Regierung zu weiteren Anfragen von Petra Pau zu entnehmen. Vermutlich wird bei den rechten Straftaten mit den noch zu erwartenden Nachmeldungen der Polizei ebenfalls der höchste Stand seit 2001 erreicht.
Kommentar von Sascha von Gerishem: Nazis tun, was Nazis tun. Das war schon immer so. Wer Nazis, auch in den eigenen Reihen, duldet oder toleriert, fördert das Wachstum dieser antisozialen Minderheit. Der Verfassungsschutz hat mittlerweile gelernt und keinen Rechtsextremen mehr als Präsidenten, und schon klappt auch die Beobachtung der AfD, wenn sie sich auch noch windet. Sie möchte zwar rechtsextremistisch sein, aber bitte nicht so genannt werden. Ein weiterer Gefallen, der Nazis verweigert wird, und das ist auch gut so.
Menschenrechte
Jeder zweite Asylsuchende aus der Türkei hat 2020 Schutz in Deutschland erhalten
Linke: Türkei ist weit entfernt von Rechtsstaatlichkeit
Osnabrück. Auch vier Jahre nach dem Putschversuch in der Türkei erhält noch fast jeder zweite Asylbewerber aus der Türkei Schutz in Deutschland. 2020 bekamen 47,7 Prozent aller türkischen Asylbewerber hierzulande Schutz gewährt – in Form von Asyl, Flüchtlingsschutz, vorübergehendem (subsidiärem) Schutz und Abschiebungsverboten. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Frage der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen hervor. Die Antwort liegt der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ NOZ vor. Dabei geht es um die sogenannte bereinigte Schutzquote, bei der Ablehnungen aus formellen Gründen ausgeklammert bleiben, etwa weil ein anderes EU-Land zuständig ist. Zum Vergleich: 2019 lag die Quote kaum höher bei 52,7 Prozent, 2018 hatte sie 46,7 Prozent betragen.
Nach Ansicht der Linken sagen die Zahlen viel über die Verhältnisse in der Türkei aus. Dagdelen sagte der „NOZ“: „Die Türkei ist kein sicheres Herkunftsland und weit entfernt von Rechtsstaatlichkeit.“ Daraus müsse die Regierung Konsequenzen ziehen. Dagdelen, die Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss ist, sagte: „Wenn fast jeder Zweite, der vor dem Autokraten flieht, Schutz in Deutschland bekommt, ist es einfach nur skrupellos, dass die Bundesregierung das Erdogan-Regime weiter mit Waffen beliefert und mit Wirtschaftshilfen stützt.“
Die Zahl der Türken, die in Deutschland Asyl beantragen, hat sich 2020 im Vergleich zum Vorjahr fast halbiert. Dies ist nach Ansicht der Linken aber vor allem auf die Reise- und damit Fluchtbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie zurückzuführen. Im vergangenen Jahr wurden nach Regierungsangaben 5782 Asylanträge gestellt. Das waren fast nur noch halb so viele wie in den beiden Vorjahren (2019: 10.833 Anträge, 2018: 10.356). Nach dem gescheiterten Putschversuch gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan 2016 war die Zahl der Asylbewerber aus der Türkei schlagartig gestiegen und hatte sich von 2016 bis 2018 verdoppelt. Die türkische Regierung geht seit dem Putschversuch im Sommer 2016 massiv gegen angebliche Staatsfeinde vor.
Am heutigen Donnerstag wird in Istanbul der Prozess gegen die wegen Terrorvorwürfen angeklagte deutsche Journalistin Mesale Tolu fortgesetzt.
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung – www.noz.de
Gesellschaft
Pures Gift
Kommentar von Lars Hennemann zu Impfvordränglern
Wir haben gelernt, viel zu ertragen. Je länger die Pandemie andauert, desto mehr. Sogar, dass zunächst wenig Impfstoff gekauft und dass das Wenige holprig verteilt worden ist. In einer einzigartigen Situation müssen wir einander tatsächlich einzigartig verzeihen, solange glaubhaft aus Fehlern gelernt wird. Allerdings mehren sich Nachrichten, bei denen das schwerfällt. Landauf landab finden sich Landräte, Oberbürgermeister oder Funktionäre aus Verwaltung, Verbänden und sogar Kirchen, die schon geimpft worden sind. Obwohl sie noch nicht an der Reihe waren. Peine, Donauwörth, Halle, Hamburg, Augsburg, Lahn-Dill – bezeichnenderweise geben die Drängler ihr Verhalten erst zu, wenn Journalisten nachfragen. Mit verlogenen Begründungen: Man besuche Krankenhäuser oder Altenheime. Außerdem sei das verwendete Serum übrig gewesen und habe zu verfallen gedroht. Verehrte Verantwortliche: Für solche Situationen muss es kraft Verordnung Listen mit Ersatzkandidaten geben. Mit welcher Berechtigung wollen die Heuchler noch vor Lehrer oder Erzieher treten, die ihren so wichtigen Beruf – man könnte viele weitere nennen – weiter ungeschützt ausüben müssen? Ein solches – man muss das so deutlich sagen – komplett asoziales Verhalten ist in der aktuellen Situation pures Gift und Wasser auf die Mühlen derer, die die Pandemie für ihre den sozialen Frieden zersetzenden Ziele nutzen. Abhilfe schafft da nur Transparenz. Entweder durch Kontrollen oder – besser – durch freiwilliges Offenlegen des eigenen Verhaltens. Denn Politiker und Funktionsträger, die sich abrackern, regeltreu warten und deshalb Vorbilder sind, gibt es gottlob nach wie vor auch.
Quelle: Allgemeine Zeitung Mainz – www.allgemeine-zeitung.de
Das machen Vorbilder anders – zur Diskussion über Impfberechtigungen
Die Diskussion kocht, wenn es um die augenscheinlich grassierende Selbstbedienungsmentalität beim Corona-Impfstoff geht. In einigen Einrichtungen scheint dabei schlicht das Gesetz des Stärkeren zu gelten, keineswegs nur in der Lausitz. Wer Verantwortung trägt in Politik, Firmen, Vereinen oder Verbänden, der darf nicht nur das ihm zustehende Gehalt einstreichen, der muss seinen Mitarbeitern und Wählern gegenüber auch moralisch ein Vorbild sein. So erwirbt man sich Autorität. Niemand muss sich über Verdrossenheit und Frust in Internet-Foren wundern, wenn, wer Einfluss hat, öffentlich „Wasser“ predigt und heimlich den „Wein“ genießt.
Es wäre legitim, wenn sich ein Vorgesetzter impfen lässt, wo es im Umfeld diffuse Angst vor der wichtigen Immunisierung aus der Kanüle gibt. Doch dann macht er das nicht heimlich bei Nacht und Nebel, sondern lädt sich formvollendet einen Rundschau-Fotografen ein, um sich als „besonders mutiges Vorbild“ öffentlich ablichten zu lassen.
Ich bin gespannt, wann ich endlich die Geschichte schreiben kann, in der ein einflussreicher Kommunalpolitiker, Geschäftsführer, Krankenhaus- oder Pflegeheimchef mit seinem personengebundenen Dienstwagen noch am Abend losgefahren ist – nicht, um seiner Frau, Freundin oder seinem Spezi, sondern einer Nachtschwester, einer alleinstehenden Hochbetagten aus seiner Nachbarschaft oder seiner zuverlässigsten Pflegeaushilfe noch die letzte übriggebliebene Impfung des Tages zu verschaffen.
Quelle: Lausitzer Rundschau – www.lr-online.de
Corona
Klare Regeln für Schulen
Wann öffnen Schulen weiter, für welche Jahrgangsstufen, in welchem Rhythmus wechseln Präsenz- und Distanzunterricht? Zwischen Kiel und München, Düsseldorf und Dresden gibt es auf diese Fragen vielerlei Antworten. Ob das föderale Nebeneinander schadet, hängt von der Qualität jener Antworten ab. Entscheidend ist, dass möglichst viel wieder in Klassenräumen unterrichtet werden kann und Ansteckungen nahezu ausgeschlossen bleiben. Die Länder sollten ihren Schulen und Schulträgern klare Regeln vorgeben. Wann was möglich ist, muss an nachvollziehbaren Kriterien ausgerichtet sein. Die jeweilige Inzidenz ist nur eine Größe. Andere sind die Auslastung des Gesundheitswesens und die Frage, ob hohe Infektionszahlen einem Cluster geschuldet sind oder Corona-Ausbrüche diffus den lokalen Raum füllen. Eine bundeseinheitliche Lösung hätte nicht geschadet. Zwingend für eine gute Politik ist sie nicht.
Quelle: Frankfurter Rundschau – www.fr.de
Lehrerverband fordert wöchentliche Tests für Lehrer und Schüler
Präsident Meidinger warnt: Nicht genug Selbsttests für Schulen
Osnabrück. Der Deutsche Lehrerverband bezweifelt, dass parallel zu einer stufenweisen Rückkehr in den schulischen Präsenzbetrieb genügend Selbsttests für Lehrer und Schüler verfügbar sein werden. Gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) erklärte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger: „Flächendeckende regelmäßige Selbsttests sind ein wesentlicher Beitrag dazu, Schulen zu sichereren Orten zu machen und eine belastbare Öffnungsstrategie zu fahren.“ Voraussetzung sei die Zulassung entsprechender Tests, die ohne medizinisches Fachpersonal durchgeführt werden können und eine geringe Fehlerquote haben. Meidinger forderte, die Selbsttests wöchentlich durchzuführen. Sein Verband sei auch für eine Regelung nach österreichischem Vorbild offen, wo der Schulbesuch von negativen Selbsttests abhängig ist.
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung – www.noz.de
Corona-Krise: Herbeigequälter Konsens
Kommentar von Thomas Fricker
Zu herbeigequält wirkt der Konsens, dem Gemeinwesen noch einmal drei Wochen des Durchhaltens zuzumuten. Der Hinweis, bei einer stabilen Inzidenz unter 35 würden weitere Lockerungen möglich, bleibt für Handel und Gastronomie zu vage. Auch Kulturschaffende hätten verbindlichere Perspektiven gebraucht. Bei den Schulöffnungen zeichnet sich heilloses Durcheinander ab. Nichts gegen regionale Unterschiede im Umgang mit Corona. Aber diese sollten sich an Infektionslagen orientieren und nicht an föderalem Wildwuchs, der in diesem Fall Verwirrung und Frust produziert. Offenbar stoßen auch die politisch Verantwortlichen zunehmend an ihre Grenzen. Kurzatmigkeit ist kein gutes Zeichen für eine Republik unter Stress. http://www.mehr.bz/khs42i
Quelle: Badische Zeitung – www.badische-zeitung.de
ndDerTag: Kommentar zur wiederbelebten 35er-Inzidenz
Dank der Bund-Länder-Beschlüsse gibt es eine Wiederbegegnung mit einer fast schon vergessenen Bekannten. Die Sieben-Tage-Inzidenz 35 wurde unter dem Vorwand der Virusmutationen reanimiert: Erst wenn stabil nicht mehr als 35 Neuansteckungen je 100 000 Einwohnern in einer Woche gemeldet werden, können Lockerungsmaßnahmen kommen. Der Wert soll Maß dafür sein, ob Gesundheitsämter die Kontakte von Infizierten noch nachverfolgen können. Über 50, hieß es zuvor lange, wäre das nicht mehr zu schaffen. Mit der 35 könnte der öffentliche Gesundheitsdienst dem Ansteckungsgeschehen noch auf der Spur bleiben und Quarantänemaßnahmen verhängen.
Aber Pandemie ist nicht erst seit gestern. Die Gesundheitsämter scheinen wenig mehr belastbar als am ersten Tag, personelle Hilfe der Bundeswehr und anderer Verwaltungen hin oder her. Die vorgesehene und empfohlene Software sei erst in 30 Prozent der Ämter im Einsatz, hieß es im Januar. Die wollten nichts an ihren (analogen) Abläufen ändern, wenn die erst einmal eingespielt sind, so eine Erklärung. Die Unbeweglichkeit der Ämter, ihre Scheu vor der Digitalisierung, soll also am Ende mit darüber entscheiden, ob es überhaupt absehbar Lockerungen gibt? Es ist bezeichnend, dass sich Bund und Länder mit ihrer Aufwertung der 35 ebenfalls darauf zurückziehen.
Monat um Monat ist verstrichen, ohne dass sich der öffentliche Gesundheitsdienst – trotz verschiedener, auch finanzieller Unterstützung – erneuert hätte. Schon gibt es Politiker, die für eine 10er- oder 25er-Inzidenz votieren. Scheinbar will die Bundesregierung nur eines vermeiden: beim Öffnen scheitern und das auch noch direkt vor der Bundestagswahl. Deshalb Lockdown bis Anfang September. Grenzwerte sind ja flexibel einsetzbar.
Quelle: neues deutschland – www.neues-deutschland.de
Stuttgarter Nachrichten: Kommentar zu Corona/Öffnungsdebatte
Die Rufe nach Öffnung haben eine Stimmung erzeugt, die die Politik nun durch die Öffnung der Friseurläden dämpfen will – reine Symbolpolitik. Gibt es eigentlich Versuche, die wirkungslose App zur zielgenauen Verfolgung des Virus nutzbar zu machen? Oder nimmt die Politik lieber ein Lockdown-Dauerabo in Kauf als Ärger mit dem Datenschutz? Die Versäumnisse sind groß, lassen sich aber nicht durch Nachgiebigkeit gegenüber wohlfeilen Lockerungsforderungen beheben. Denn manche Wirtschaftsfunktionäre schielen vor allem auf Beifall ihrer Mitglieder.
Quelle: Stuttgarter Nachrichten – www.stuttgarter-nachrichten.de
Die neuen Corona-Beschlüsse
Schadensbegrenzung, mehr nicht. Von Ingo Kalischek.
Es ist wahrlich nicht der große, visionäre Wurf und kein Befreiungsschlag, den uns die Politiker mit den neuen Corona-Beschlüssen verkaufen, sondern eher das Prinzip Schadensbegrenzung. Mal wieder. Das schmerzt, wenn wir uns vor Augen führen, dass es vor genau einem Jahr in Deutschland schon erste offizielle Corona-Fälle gab.
Wie oft wurde bereits vom Licht am Ende des Tunnels gesprochen? Doch der Tunnel wird länger und länger. Wir treten auf der Stelle. Eine Öffnungsstrategie haben uns die Politiker erneut nicht serviert, aber zumindest eine kleine Perspektive aufgezeigt, die nicht nur auf ein Datum blickt, sondern sich auch auf Inzidenzen bezieht. Der neue Wert von 35 kommt aber aus dem Nichts und erscheint willkürlich. Dass die Politik aktuell besonders vorsichtig agiert, ist in Ansätzen verständlich. Sie wird heute scharf dafür kritisiert, Ende Oktober beim Lockdown light zu lasch und zu spät agiert zu haben. Damals sahen das nur wenige so; heute wissen wir alle es besser. Der wichtigste Grund für das Zögern und Zaudern ist aber, dass wir einfach noch viel zu wenig über die Mutationen wissen. Umso wichtiger ist es, so schnell wie möglich mehr Daten zu bekommen. Die könnten immerhin für etwas mehr Verständnis in der frustrierten Bevölkerung sorgen. Solange diese Daten fehlen, wird es sehr schwer werden, die Bürger von weiteren Eingriffen zu überzeugen, während die Infektionszahlen und schweren Covid-Fälle in den Krankenhäusern seit Wochen weniger werden. Immer neue Warnungen vor einer dritten Welle ohne hinreichende Infos und Erklärungen wollen die Menschen auf Dauer nicht mehr hören. Und dass Friseure nun zum 1. März öffnen, dürfte eine Neid-Debatte ins Rollen bringen. Warum sie – und andere nicht?
Eine gute Nachricht ist immerhin, dass die Grundschulen und Förderschulen schrittweise wieder öffnen dürfen. Je jünger die Schüler, desto größer ihr Betreuungsbedarf. Familien werden etwas entlastet. Die jetzt angekündigten Wechselmodelle haben Opposition und Schulen in NRW seit Monaten erfolglos gefordert. Das muss sich Schulministerin Yvonne Gebauer eingestehen.
Wenn die Schulen nun wieder voller werden und dort verstärkt getestet wird, wächst das Risiko, dass auch die Infektionszahlen wieder steigen werden. Und dann? Den Lockdown seit November das sechste Mal verlängern? Der Wunsch nach einer konkreten Öffnungsperspektive ist allzu verständlich, doch der Ärger wäre noch größer, wenn Termine und Lockerungen nach wenigen Tagen wieder zurückgenommen werden müssten. Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen. Passend zum Wetter könnte man sagen: Die Politik hat sich festgefahren.
Quelle: Neue Westfälische (Bielefeld) – www.nw.de
MZ zu Corona und Schulen
Wahr ist: Jeder Tag der Schulschließung bringt neue Bildungsungerechtigkeit – und das würde auch dann gelten, wenn der Digitalunterricht deutlich besser wäre, als er in den meisten Fällen ist. Wer zu Hause nicht so gut gefördert werden kann, wer keinen ruhigen Platz zum Lernen hat, ist der Verlierer in dieser Situation. Das Problem ist nur: Die Pandemie interessiert es nicht, ob sich die ohnehin viel zu große Bildungsungerechtigkeit in unserem Land noch vergrößert. Vieles wird sich nur im Nachhinein durch gezielte Förderprogramme für schwächere Schülerinnen und Schüler abmildern lassen.
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung – www.mz-web.de
ndDerTag: Medizinethiker Ernst Luther will keine Sonderrechte für Geimpfte
Der renommierte Medizinethiker Ernst Luther aus Halle (Saale) begrüßt die Ende vergangener Woche gegebenen Empfehlungen des Deutschen Ethikrates, der von Sonderrechten für bereits gegen Corona geimpfte Menschen abriet. „Der Grundgedanke der Ethik sollte sein: Das Leben des Menschen ist unverfügbar und im Gleichklang zum Grundgesetz. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, betonte der Wissenschaftler, der die erste deutsche Professur für Ethik in der Medizin innehatte, in einem Interview mit der überregionalen Tageszeitung „nd.DerTag“ (Freitagausgabe) .
Der bis 1992 an der Martin-Luther-Universität lehrende Forscher nennt zudem die von der Vorsitzenden des Ethikrates, Alena Buyx, geäußerte Einschränkung hinsichtlich freier Wahl des Impfstoffes „ein Zeichen von Verantwortung. So lange noch ein viel beklagter Mangel an Impfstoff existiert, geht es um Hilfe für alle. In weiterer Zukunft kann es eine andere Sicht geben.“
Luther, der Anfang der 2000er Jahre der Ethik-Kommission des Deutschen Bundestages angehörte, beklagt unerbittliche Konkurrenz im Kampf um die Verteilung von Impfstoffen zwischen Nord und Süd, sieht jedoch keine essentielle Gefahr, dass solidarisches Verhalten in die Brüche ginge. Eine Prognose, wie lange die Pandemie noch die Menschheit im Würgegriff halten werde, will der Wissenschaftlicher nicht abgeben: „Alle Fachleute halten sich zurück, weil die Daten zur Epidemiologie nicht für eine Prognose ausreichen. Ich mahne zu Geduld, weniger Lautstärke und mehr Empathie für die Betroffenen.“
Quelle: neues deutschland – www.neues-deutschland.de
So kann es nicht weitergehen
Stufenpläne können den Menschen eine längerfristige Perspektive für ein Leben mit dem Virus bieten. Von Markus Decker.
Am Mittwoch traten die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder – zum wievielten Mal eigentlich? – zusammen, um über den weiteren Umgang mit der Corona-Krise zu sprechen. Dabei kam heraus, was zu erwarten war: Der Lockdown wird verlängert. Zwar sind Abstufungen geplant – allen voran für Schulen und Kindergärten, für die die Länder ohnehin Verantwortung tragen, sowie für Friseure. Der Rest der Republik aber soll so eingefroren bleiben, wie das Wetter jetzt Seen und Flüsse einfrieren lässt.
Das ist einerseits richtig und eine Lehre aus dem Herbst, als viele Ministerpräsidenten noch weniger wollten, was Angela Merkel wollte: dichtmachen. Dabei lehrt der Blick nach England oder nach Portugal, wie schlimm es unverändert werden kann. Jede vorzeitige Lockerung kann im Lichte gefährlicher Mutanten zu einer medizinischen Katastrophe führen.
Was am Mittwoch vereinbart wurde, ist ein vernünftiger Kompromiss – vorausgesetzt, die Länder verhalten sich in der Schulpolitik nun genauso vernünftig. Andererseits hat die jüngste Ministerpräsidentenkonferenz gezeigt, was bereits die vorherigen Ministerpräsidentenkonferenzen zeigten: So, wie es ist, kann es nicht bleiben.
Bis zuletzt sind alle davon ausgegangen, dass wir die Seuche in Bälde hinter uns haben. Doch diese Hoffnung ist trügerisch. Experten sagen, dass sich hinter der abflauenden zweiten Welle bereits die dritte Welle aufbaut – mit infektiöseren und offenbar auch tödlicheren Mutanten. Das bedeutet, dass sich der aktuelle Lockdown nach ersten Lockerungen schnell als nutzlos herausstellen könnte.
Dies ist auch der Grund, warum die Inzidenz-Zielmarke von 50 auf 35 abgesenkt wurde. Zugleich erweist sich der Impfstoff von Astrazeneca bei der Bekämpfung von Mutanten als nicht ausreichend effektiv. Niemand kann ausschließen, dass andere Vakzine irgendwann ebenfalls in die Knie gehen.
Man kann versuchen, dem mit einem No-Covid-Kurs zu begegnen. Die Zielmarke 35 ist näher an der 0 als die Zielmarke 50. Doch ob der No-Covid-Kurs in einer globalisierten Welt komplexer Industriegesellschaften auf Dauer durchhaltbar ist, muss bezweifelt werden. Was sich Virologen wünschen, ist für vom Lockdown existenziell Betroffene ein Albtraum. Und für Politiker erst recht.
So führt womöglich kein Weg daran vorbei, dauerhaft – also bis 2022 oder länger – mit dem Virus zu leben. Dafür bieten sich die jetzt diskutierten Stufenpläne an – vorausgesetzt, sie sind streng genug. Solche Pläne böten allen Beteiligten eine längerfristige Perspektive. Ein erstrebenswertes Ziel, nämlich niedrige Infektionszahlen, würde gekoppelt an die Motivation der Bürger, dieses Ziel auch zu erreichen. Verheißungen wie der Besuch eines Friseurs, eines Restaurants oder eines Konzerts könnten durch Disziplin im Alltag errungen werden.
Es wäre falsch, weiter im Rhythmus von Ministerpräsidentenkonferenzen zu lockern oder zu schließen. Das macht die Republik kirre. Überdies ist das Gremium im Grundgesetz gar nicht vorgesehen und damit demokratisch nur bedingt legitimiert. Es agiert auch viel zu kurzatmig. Und schließlich werden dort gefasste Beschlüsse im Anschluss von einzelnen Ländern wieder aufgeweicht. Ein gemeinsamer Krisenstab von Bund und Ländern, der ein ruhigeres Agieren erleichtern würde, existiert skandalöserweise bis heute nicht. Bei der Bevölkerung entsteht so der Eindruck von Chaos und Willkür. Angesichts der Tatsache, dass viele Eltern, Gewerbetreibende und Kulturschaffende am Ende ihrer psychischen Kräfte und ihrer finanziellen Möglichkeiten sind, sollten sich die Verantwortlichen diesen Eindruck nicht leisten.
Quelle: Mittelbayerische Zeitung – www.mittelbayerische.de
Söders Bremsen muss anspornen
Das Entschärfen der Hotspots an der Grenze braucht oberste Priorität. Hubert Aiwanger bleibt beim Lockern nur ein Teilsieg, der aber viele Menschen betrifft.
Vorsicht bleibt für Bayerns Regierungschef Markus Söder in der Corona-Pandemie das beherrschende Motiv. Das nun zarte Versprechen, Beschränkungen bei weiter sinkenden Sieben-Tages-Inzidenzen im abgestuften Verfahren zu beenden, war deshalb mit einem kräftigen Aber verknüpft. Virus-Mutanten, die in den Grenzlandkreisen Tirschenreuth, Wunsiedel und Hof für eine wachsende Zahl an Neuinfektionen verantwortlich sind, setzen ein riesiges Fragezeichen hinter alle Lockerungsszenarien. Ein Hoffnungsdämpfer, der bei Bürgern aber auf keinen Fall zu Resignation führen darf. Im Gegenteil.
Gerade jetzt müssen alle Hebel gezogen werden, um die Inzidenzen im Landesschnitt auf die Zielmarke 35 zu drücken. Im Fokus stehen dabei die bayerischen Hotspots, die fast alle an das Hochinzidenzgebiet Tschechien grenzen. Es ist klar: 35 wird nur dann zu erreichen sein, wenn der Grenzverkehr nicht das zentrale Corona-Problem bleibt.
Die gute Botschaft ist: Das Problem ist auf allen Ebenen erkannt: Söder drängt exakt aus diesem Grund auf intensive Grenzkontrollen. Sie würden einen großen Schwachpunkt beseitigen: Denn es mangelt nicht an ausgefeilten Sicherheitsvorschriften – Quarantäneverordnungen, Testpflichten und andere Einreiseregeln lassen kaum noch Lücken. Sinnvolle Maßnahmen müssen allerdings parallel überwacht werden, damit sie wirklich greifen. Das gilt auch für die neue „Pendlerquarantäne“, mit der die Grenzlandkreise Cham und Tirschenreuth soeben angeordnet haben, dass Grenzgängern nur mehr der direkte Weg zum Arbeits- oder Studienplatz gestattet ist.
Es geht in dieser kritischen Phase darum, dem Virus wenig Freiräume zu lassen, damit sich nicht schleichend eine dritte Corona-Welle aufbauen kann. Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger, der bis zuletzt gegenüber Koalitionspartner Söder auf frühere und weitreichendere Lockerungen drängte, hat für den Moment beigedreht und übt sich nochmals in Geduld – bekanntermaßen nicht seine stärkste Disziplin. Wenigstens einen Teilsieg kann er für sich verbuchen: Die Ausgangsbeschränkung ab 21 Uhr fällt in weiten Teilen des Freistaats weg – überall dort, wo die Sieben-Tages-Inzidenz unter 100 gefallen ist.
Söder zieht damit allerdings auch in letzter Minute die Notbremse: Gerichte hätten die landesweite Regelung sicher bald gekippt. Wie ließe sich etwa rechtfertigen, dass Regensburger Bürger bei einer Inzidenz von knapp 25 quasi zum abendlichen Hausarrest verdonnert sind.
Der Kampf gegen das Virus bleibt mühsam. Nächtliche Ausgangsbeschränkungen wiegen dabei fast nichts im Vergleich zu dem, was Einzelhändler, Kulturschaffende oder Gastwirte ertragen müssen, die weiter darüber im Unklaren sind, wann ihr Leben in normalere Bahnen zurückfindet. Der Preis ist für viele immens. Nichtsdestotrotz: Der zweite Lockdown wirkt. Auf der Corona-Karte des Landesamtes für Gesundheit waren am Donnerstag schon elf bayerische Städte und Landkreise in jenes helle Grün getaucht, das für Inzidenzen unter 35 steht. 27 weitere Kommunen waren gelb gefärbt, haben also eine Inzidenz unter 50.
Für diesen Erfolg steht auch Söder, der immer auf Vorsicht beharrt hat. Er ist damit allerdings inzwischen bei corona-müden Bürger zur Reizfigur mutiert. In sozialen Netzwerken wird der CSU-Chef mit üblen Verwünschungen überzogen. Ein scharfer Kontrast zum Frühjahr und Sommer 2020, als er wegen seiner klaren Linie plötzlich parteiübergreifend als Lichtfigur galt und man kaum aus dem Staunen herauskam, wer ihn plötzlich alles klasse fand. Wirklich fair ist das nicht. Obwohl es damals zu viel des Lobs war: Nun ist es zu wenig.
Quelle: Mittelbayerische Zeitung – www.mittelbayerische.de
Umwelt
ndDerTag: Hauptstadtflughafen BER ist eine Todesfalle für Vögel
Die Glasfassade des im Herbst 2020 eröffneten Berliner Flughafens BER ist eine tödliche Gefahr für Vögel. „Bei einer Begehung am 18. Januar haben wir mindestens 100 Anprallspuren von Vögeln gezählt“, sagte Claudia Wegworth vom Umweltverband BUND Berlin der in Berlin erscheinenden Tageszeitung „nd.Der Tag“ (Freitagsausgabe). „Wenn Glasflächen Blicke auf die Umgebung zulassen oder diese spiegeln, fehlt Vögeln jeder Hinweis darauf, dass es sich um ein Hindernis handeln könnte“, erläutert die Vogelschutzexpertin. „Federfunde und Fotos belegen, dass unter den verunglückten Tieren auch weitere geschützte Arten wie Waldkauz, Singdrossel, Rotkehlchen und Blaumeise sind“, berichtet Wegworth. Besonders gravierend sei das Problem der Massenanflüge von Zugvögeln, bei denen bereits 2012 nachweislich zahlreiche Rotkehlchen und Singdrosseln am Terminalgebäude zu Tode gekommen seien, so die Expertin.
„Das Problem mit den Vögeln ist uns bekannt, es tritt an vielen Gebäuden mit großen Glasfassaden auf“, so die Sprecherin der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB), Sabine Deckwerth, auf nd-Anfrage. Die FBB nehme das Problem ernst und bedauere die Vogelkollisionen. Man habe mit den Flughafenexperten bereits Maßnahmen ergriffen und Flächen mit speziellen Folien beklebt. „Sollte sich dieses Verfahren bewähren, werden weitere Flächen beklebt“, so Deckwerth. „Was auch immer passiert oder notwendig ist: Es wird horrende Kosten nach sich ziehen. Man hätte den Vogelschutz bei der Planung berücksichtigen müssen“, kritisiert Claudia Wegworth.
Quelle: neues deutschland – www.neues-deutschland.de
Insektenschutz: Umweltministerin Schulze will bei EU-Agrarmilliarden umschichten
100 Millionen Euro mehr für Insektenschutz – Union will im Bundestag bei Insektenpaket nachverhandeln
Osnabrück. Bundesumweltministerin Svenja Schulze will durch Umschichtung bei den milliardenschweren EU-Agrarsubventionen zusätzliche Mittel für Insektenschutzmaßnahmen in der Landwirtschaft freischlagen. Das berichtet die „Neue Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) unter Berufung auf eine Protokollnotiz der Ministerin zum Mittwoch beschlossenen Insektenschutz-Paket der Bundesregierung. Bislang werden sechs Prozent der Gelder entsprechend von der ersten Säule, aus der Direktzahlungen pro Hektar geleistet werden, in die zweite Säule umgeleitet. Schulze fordert, die Umschichtung für das Jahr 2022 auf mindestens acht Prozent zu erhöhen. Das entspräche fast 100 Millionen Euro, die für zusätzliche Umweltmaßnahmen zur Verfügung stünden. Rechtlich möglich wäre eine Umschichtung von maximal 15 Prozent. In der Protokollnotiz betont Schulze: „Diese zusätzlichen Mittel sollen zweckgebunden für den Insektenschutz und für Ausgleichszahlungen in Fauna-Flora-Habitat-Gebieten genutzt werden.“ Ökologische Leistungen der Landwirte müssten entsprechend honoriert werden, fordert Schulze.
Noch ist indes unklar, ob das umstrittene Paket auch so in Kraft tritt wie vom Kabinett am Mittwoch beschlossen. Die Unionsfraktion im Bundestag will nach dem Bericht der „NOZ“ an einigen Stellen nachverhandeln. Das geht aus einem Brief der Agrarpolitiker Gitta Connemann und Albert Stegemann an ihre Fraktion hervor, auf den sich das Blatt beruft. Es gebe im Entwurf zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes „zentrale Punkte, die wir so nicht mittragen können.“ So will die Union beispielsweise erreichen, dass Landwirte einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung erhalten, wenn die Vorgaben zum Insektenschutz zu stark in ihre Arbeit eingreifen.
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung – www.noz.de
Kommentar von Sascha von Gerishem: Unionspolitiker*innen grätschen den Verhandlungen zum Insektenschutz erneut von hinten in die Beine und und wollen die „Arbeit von Landwirt*innen“ über den Insektenschutz stellen, bzw. sie finanziell für den Mehraufwand zum Schutz der Insekten entschädigen. Kein Witz. Also keine Strafe für Missachtung, sondern Geldmittel, wenn „die Vorgaben zum Insektenschutz zu stark in die Arbeit eingreifen.“ So schwammig, so gut – also für die Industrie. „Arbeit von Landwirt*innen“ setze ich mal in Anführungszeichen, denn Landwirt*innen ist bewusst, dass Insektenschutz wichtig ist, denn noch bestäuben und befruchten sie ihre Pflanzen nicht selbst, das machen noch immer Insekten. Wenn Insektenschutz aufgeweicht wird, dann nicht für Landwirt*innen, sondern für die Agrarindustrie, also für diejenigen, die maßgeblich für das Insektensterben verantwortlich sind. Nachtigall, ick hör dir trapsen. Also noch, denn durch das massive Insektensterben gibt es auch ein Vogelsterben.
NRW bleibt Stauland Nummer eins
Das System ist weiter überlastet. Von Matthias Bungeroth.
Das Corona-Jahr hat dafür gesorgt, dass die Staus auf den Autobahnen in Deutschland 2020 kräftig zurückgegangen sind. Es gab laut ADAC 28 Prozent weniger Stauereignisse, die Staulänge sank um 52 Prozent. Das bedeutet immer noch die Zahl von rund 680.000 Kilometern. Deshalb können diese Daten auch kein Anlass sein, für den Verkehrssektor Entwarnung zu geben. Gerade Nordrhein-Westfalen bleibt das Stauland Nummer eins in Deutschland. Rund ein Drittel aller Stauereignisse und der Staukilometer entfielen auf das Autobahnnetz im bevölkerungsreichsten Bundesland. Das zeigt: Das System ist weiter überlastet, vor allem wenn man bedenkt, wie viel an der Instandhaltung in den kommenden Jahren noch zu tun ist. Der ADAC nennt den Zustand der Autobahnbrücken in NRW „katastrophal“.
Während diese Arbeiten unter Regie der neuen Autobahn GmbH des Bundes mit Hochdruck weitergehen müssen, ist es notwendig, die Verkehrswende voranzutreiben.
Dazu gehören gut ausgebaute und günstige Angebote des ÖPNV, ein stark zu verbesserndes Radwegenetz, die Vermeidung unnötiger Fahrten, etwa durch mehr Homeoffice, oder das Reduzieren von Touren zu Stoßzeiten.
Quelle: Neue Westfälische (Bielefeld) – www.nw.de
Wirtschaft
Erleichterung
Ein Kommentar von Annette Becker zu Thyssenkrupp
Endlich! Ein tiefer Seufzer der Erleichterung ob der guten Entwicklung im Auftaktquartal war nicht nur aus der Essener Thyssenkrupp-Zentrale zu vernehmen, sondern auch von der Börse. Mit einem Kurssprung um in der Spitze 9 Prozent katapultierten die Investoren die Aktie des angeschlagenen Traditionskonzerns an die Spitze im MDax. Gefeiert wurde, dass Thyssenkrupp dank der breiten wirtschaftlichen Erholung – allen voran in der Autoindustrie – zumindest operativ wieder schwarze Zahlen schreibt.
Und zwar nicht nur in einem einzelnen (Ausnahme-)Quartal. Nein, diesmal meint es Thyssenkrupp ernst und fasst nun sogar für das gesamte Geschäftsjahr „ein nahezu ausgeglichenes“ operatives Ergebnis ins Auge. Darin nicht berücksichtigt sind freilich Restrukturierungsaufwendungen, die abermals mit einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag zu Buche schlagen und damit unter dem Strich erneut einen hohen dreistelligen Millionenverlust bescheren. Bemerkenswert ist jedoch, dass mit Ausnahme der Abwicklungseinheit Multi Tracks in allen übrigen Sparten die Rückkehr in die Gewinnzone gelingen soll. Selbst für das größte Sorgenkind, die Stahlsparte, wird ein ausgeglichenes Ergebnis in Aussicht gestellt. Natürlich ist Thyssenkrupp dafür auf konjunkturellen Rückenwind und das Ausbleiben pandemiebedingter Rückschläge angewiesen. Doch zeigt der Quartalsbericht eben auch, dass in den zurückliegenden anderthalb Jahren echte Fortschritte auf der Kostenseite gemacht wurden.
Ist Thyssenkrupp also über den Berg? Bei weitem nicht, wie sich unter anderem an der äußerst dürftigen operativen Marge von 1 Prozent ablesen lässt. An dieser Stelle gibt sich der Vorstand aber glücklicherweise auch keinen Tagträumereien hin. Oberste Priorität bleibt, die Wettbewerbsfähigkeit der Geschäfte, die dauerhaft unter dem Dach von Thyssenkrupp verbleiben sollen, wiederherzustellen. Damit dies gelingt, sind neben Kostenschnitten allerdings auch umfangreiche Investitionen, wie sie jetzt beispielsweise für die Stahlsparte freigegeben wurden, erforderlich.
Genau an diesem Punkt liegt die eigentliche Herausforderung für Thyssenkrupp. Denn für Investitionen und Restrukturierung sind nur die Mittel vorhanden, die der Verkauf der Aufzugssparte einbrachte. Das derzeit noch üppig bestückte Liquiditätspolster schmilzt absehbar dahin. Sind die Mittel aufgebraucht, bevor die Geschäfte wieder auf Vordermann gebracht sind, gehen nicht nur bei Multi Tracks die Lichter aus.
Quelle: Börsen-Zeitung – www.boersen-zeitung.de
Finanzen
Späte Kopie
Kommentar zur Commerzbank von Bernd Neubacher
Wenn Banken auf dem Deckblatt ihrer Präsentation zum Jahresergebnis nichts anderes herauszustreichen wissen als die Stärke ihrer Kapitaldecke, wie am Donnerstag die Commerzbank, dann tun Anleger in der Regel gut daran, die Beine in die Hand zu nehmen: Um 6% ist denn auch der Kurs auf Xetra abgeschmiert. Der Hinweis auf eine Eigenkapitalrendite von minus 40% hätte dies wohl auch nicht verhindert. Allerdings geht der bereits angekündigte Konzernverlust von 2,9 Mrd. Euro, der erste seit 2012, vor allem auf Restrukturierungskosten im Zuge des anstehenden Umbaus der Bank und Goodwill-Abschreibungen zurück. Überhaupt hat das neue Management die Chance zum Kehraus genutzt, im Massengeschäft 340.000 Karteileichen aussortiert sowie darauf hingewiesen, dass nochmals eine halbe Million von nun noch knapp 11,5 Millionen Konten bei Commerzbank und Comdirect parallel unterhält, was den Erfolg der Akquise unter dem alten Management nochmals relativiert.
Mehr noch als die Reaktion auf das Jahresergebnis spiegelt der Kursverlust Enttäuschung darüber wider, dass weder morgens im Analysten-Call und der Bilanzpressekonferenz noch nachmittags in der Investorenkonferenz hinreichend konkret geworden ist, wie die Commerzbank bis 2024 etwa ihren Zinsüberschuss um 8% und den Provisionsertrag um 15% hochziehen will, während sie zugleich ein Fünftel ihrer Kosten kürzt.
Die Einsparungen, die vor allem die Eigenkapitalrendite in diesen vier Jahren auf 7% hieven sollen, sind Manfred Knof auch in dieser Drastik wohl zuzutrauen. Die dazu nötige Humorlosigkeit besitzt er augenscheinlich, ebenso Aufsichtsratschef Hans-Jörg Vetter, dem nachgesagt wird, er hätte schon als Chef der Landesbank Baden-Württemberg am liebsten den Aufwand auf null gedrückt. Die Ertragsplanung ist im Dauerzinstief die höhere Hürde, zumal die Bank das eigene Research zu Aktien sowie deren Handel kappt und stattdessen Kooperationen anstrebt.
Aus Sicht des Managements mag es keinen anderen Weg als diesen Kostenkurs geben, und nach elf Jahren Wachstumsstrategie unter Knofs Vorgängern Zielke und Blessing ist es auch an der Zeit, die Ansprüche der Realität anzupassen. Durch die Brille des Anlegers betrachtet aber ahmt die Commerzbank, vom Kostenfokus bis zur Reduktion des Aktiengeschäfts, den selben Umbau nach, den die Deutsche Bank schon 2019 begonnen hat – diese allerdings mit einer Investmentbank, die den blauen Konzern derzeit durch die Krise trägt.
Quelle: Börsen-Zeitung – www.boersen-zeitung.de
Politik
Giffey: SPD-Spitze muss sich Scholz voll unterordnen
Familienministerin fordert absolutes „Prä“ für den Kanzlerkandidaten – „Nur so kann der Wahlkampf gelingen“ – „Ideologien helfen nicht weiter“
Osnabrück. Berlins SPD-Landeschefin Franziska Giffey hat die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans aufgerufen, sich im Wahlkampf dem Kandidaten Olaf Scholz ganz unterzuordnen. „Wir haben einen Kanzlerkandidaten, und der hat für alles das Prä. Dieser eine Kandidat steht ganz vorne. Was Olaf Scholz vertritt, ist maßgeblich für die SPD-Politik. Nur so kann der Wahlkampf gelingen“, sagte Giffey im Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ).
Versuche von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, linke Akzente zu setzen, hält Giffey für wenig zielführend. „Die Menschen wünschen sich eine pragmatische, bürgernahe Politik. Es geht darum, Lösungen für die Krise aufzeigen und wie es danach weitergeht“, sagte Giffey, die selbst als SPD-Spitzenkandidatin bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin antritt. „Ideologien helfen nicht weiter, das ist meine feste Überzeugung, und das gilt für die Bundespolitik und auch für meinen Wahlkampf in Berlin.“
Auf Nachfrage zu Versuchen ihrer Partei, die Union wegen der Impfstoff-Knappheit unter Druck zu setzen, sagte Giffey: „Meine Überzeugung: Man kommt nur weiter, wenn man sagt, wofür man selber steht. Wir sollten als SPD viel deutlicher machen, was es alles nicht gäbe, wenn wir nicht mitregieren würden.“ Sie nannte etwa den Kinderbonus, Erleichterungen beim Kinderzuschlag, die Verbesserungen fürs Elterngeld und das Kurzarbeitergeld für Millionen Menschen als „sozialdemokratische Errungenschaften“ der Corona-Politik und fügte hinzu: „Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, dass meine Partei in Umfragen trotzdem nicht vom Fleck kommt. Vielleicht würde manches erst sichtbar werden, wenn es nicht mehr da wäre.“
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung – www.noz.de
Kommentar von Sascha von Gerishem: Die Familienministerin Franziska Giffey wirft den Parteivorsitzenden der SPD, also der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die früher mal „Arbeiterpartei“ genannt wurde und mittlerweile im Umfragetief dümpelt, seit der Gazprom-Mitarbeiter Gerhard Schröder vor Jahren der deutschen Sozialdemokratie den Todesstoß versetzte, sie würden linke Akzente setzen. Dabei sind es genau solche Fehldeutungen von Mandatstragenden wie Giffey, die zur Abkehr der Basis führen. Wer die Basis ignoriert, wird von der Basis ignoriert.
Giffey wirft Hessen und Baden-Württemberg Blockade von Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung vor
Familienministerin: Länder haben sich quergestellt – Corona-Pandemie zeigt Bedeutung von Betreuungsangebot
Osnabrück. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat den schwarz-grün und grün-schwarz regierten Ländern eine Blockade des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung von Schulkindern vorgeworfen. Der Gesetzentwurf sei so gut wie fertig, der Bund übernehme viele Kosten und ermögliche eine schrittweise Einführung, sagte Giffey im Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ). „Trotzdem haben sich zuletzt vor allem Hessen und Baden-Württemberg quergestellt. Dabei gibt es auch in den westdeutschen Flächenländern unzählige Familien, die dringend eine Ganztagsbetreuung wollen und brauchen, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.“
Die Einführung der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder haben SPD und Union im Koalitionsvertrag vereinbart. „Es fehlt die Einigung mit den Ländern. Das Recht auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter wird von einigen ausgebremst“, kritisierte Giffey. Dabei zeige Corona die Dringlichkeit. „Es ist doch gerade auch in der Pandemie deutlich geworden, wie wichtig eine funktionierende und gute Betreuungsinfrastruktur ist“, sagte die SPD-Politikerin. Auch die Wirtschaft erwarte Verbesserungen.
„Knackpunkt bleibt der politische Wille, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu einer Priorität zu machen und auch Geld dafür bereitzustellen“, so Giffey. Ein Streitpunkt sei, dass die Länder eine noch höhere Kostenbeteiligung vom Bund einfordern, besonders für das Personal. „Aber Personal ist nun mal ganz klar Aufgabe der Länder, und der Bund kann nicht alles übernehmen“, sagte die Ministerin.
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung – www.noz.de
Welt
USA
MZ zu Trump und Impeachment
Donald Trump hat den Boden für Hass und Terror bereitet. Er hat das Phantasma eines Wahlbetrugs in die Köpfe gehämmert und die aufgehetzten Massen zum Kapitol geschickt. Selbst als die Polizei verzweifelt Hilferufe funkte, unternahm er nichts. Ganz gleich, wie am Ende über das Impeachment entschieden wird – das Urteil der Geschichte steht fest: In die wird der 45. Präsident der USA als Demokratiefeind eingehen.
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung – www.mz-web.de
Erdrückende Beweise
Wer das Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump mit offenem Geist verfolgt hat, kommt an einem Schuldspruch kaum mehr vorbei.
Wer das Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump mit offenem Geist verfolgt hat, kommt an einem Schuldspruch kaum mehr vorbei. Zu erdrückend sind die Beweise, die die Hausmanager mit großer Präzision ausgebreitet haben. Brillant verknüpften sie den gescheiterten Mob-Coup am 6. Januar mit der Agitation des Präsidenten, der seine fanatisierten Anhänger über Wochen zur Gewalt angestachelt hat.
Untermauert mit neuem Videomaterial von den Sicherheitskameras ließen die Ankläger keinen Zweifel, wie knapp Vizepräsent Mike Pence, Speakerin Nancy Pelosi und andere Trumps Lynch-Mob entkommen waren. Wäre dies ein Strafprozess, versuchte die Verteidigung nach dem Verlauf des Verfahrens zu diesem Zeitpunkt mildernde Umstände für ihren Mandanten auszuhandeln. Leider folgt ein Impeachment-Verfahren einer anderen Logik. Die Senatoren sind keine unabhängigen Juroren, sondern Politiker, die in erster Linie an ihre eigene Zukunft denken.
Trauma hin oder her, die Angst ist bei vielen Republikanern größer vor der Rache von Trumps Basis als der Mut, das Richtige zu tun. Wenn sie den Anführer des Mob-Coups angesichts dieser Beweislage ungeschoren davonkommen lassen, setzen sie sich selber auf die Anklagebank.
Quelle: Mittelbayerische Zeitung – www.mittelbayerische.de