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Remscheid

Die Lüttringhauser Gespräche haben begonnen

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Dr. Ulrike Schrader sprach über jüdische Gemeinden im Bergischen.

Am Dienstagabend, dem 2. November, fand im Saal des evangelischen Gemeindehauses am Ludwig-Steil-Platz das erste von drei geplanten Lüttringhauser Gesprächen statt. Es ist die 22. Ausgabe der beliebten Kulturreihe, die im vergangenen Jahr coronabedingt nicht stattfinden konnte. In diesem Jahr ist das 1700-jährige jüdische Leben in Deutschland das Thema. Vor 40 Interessierten gab Dr. Ulrike Schrader, Leiterin der Wuppertaler Begegnungsstätte Alte Synagoge Einblick in die jüdischen Gemeinden im Bergischen Städtedreieck.

Bekannt sei, so Dr. Schrader, dass der erste jüdische Friedhof auf deutschem Boden im Jahre 1000 in Worms errichtet wurde. Im Bergischen ist der erste jüdische Friedhof im Jahre 1810 in Wuppertal dokumentiert. Überhaupt entwickelte sich das jüdische Leben im Bergischen eher zögerlich. „Das Bergische Land war für jüdische Familien unattraktiv“, berichtete Ulrike Schrader. „Zuviel Natur, zuviel Grün. Viele jüdische Familien sind hier nur kurz geblieben oder direkt durchgezogen.“ Auf der anderen Seite schreckte die Remscheider Schwerindustrie auch jüdische Familien ab, weshalb in der Röntgenstadt sehr wenige Juden gelebt haben. Etwas anders sah es nur in Ronsdorf aus, wo sich die Bandwirkerindustrie stark präsentierte.

Die Schwerindustrie schreckte ab

Dr. Ulrike Schrader bei ihrem Vortrag in Lüttringhausen. Foto: Peter Klohs
Dr. Ulrike Schrader bei ihrem Vortrag in Lüttringhausen. Foto: Peter Klohs

Dr. Schrader ging ausführlich auf den kleinen Friedhof der Familie Löwenthal ein, der in Lüttringhausen an der Schmittenbuscher Straße zu finden ist und dessen Grabstein langsam verwittert. Die Namen der dort Bestatteten sind nur noch sehr schwer zu entziffern. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts haben dort auch keine Beerdigungen mehr stattgefunden. Nach jüdischer Tradition darf eine Grabstätte nur einmal benutzt werden, und alle Beerdigungsplätze auf dem kleinen Friedhof waren bereits belegt.

Die Referentin legte Wert auf die Tatsache, dass das Leben zwischen Juden und Christen im Bergischen sehr lange Zeit von gegenseitiger Wertschätzung geprägt war, die erst von den Nazis im Jahr 1938 rüde beendet wurde. Ab diesem Zeitpunkt galten Juden in Deutschland als unerwünscht, ab 1941 wurden sie systematisch ermordet, vor genau 80 Jahren. „Zweidrittel der deutschen Juden sind ausgewandert“, erklärt Dr. Schrader. „Ein Drittel ist umgebracht worden.“ Und um mit einem Mythos aufzuräumen, fügte die Referentin an, dass dies einer gewissen Eigendynamik der mordenden Nazis zu schulden war. „Jedenfalls gab es den ominösen Führerbefehl zur Vernichtung der Juden nicht.“

Nazis ermordeten ein Drittel der Juden in Deutschland

Wandprojektion eines alten Briefes vom 29. Dezember 1937. Foto: Peter Klohs
Wandprojektion eines alten Briefes vom 29. Dezember 1937. Foto: Peter Klohs

Im weiteren Verlauf des einstündigen Vortrages berichtete die Literaturwissenschaftlerin viel Wissenswertes über das jüdische Leben im Bergischen:

  • Die jüdische Familie Löwenthal lebte in Ronsdorf und hat das dortige Schwimmbad finanziert.
  • Samuel Stellberger, zu Anfang des 19. Jahrhunderts in Velbert-Langenberg geboren, errichtete dort die erste Synagoge im Bergischen, damals noch ohne Rabbiner.
  • Die Familie Tietz aus Birnbaum an der Warthe baute in Barmen einen riesigen Einkaufspalast und revolutionierte das Einkaufsverhalten der Menschen. Die Familie war zu Anfang des 20. Jahrhunderts in Barmen hoch angesehen.
  • Der aus dem Frankfurter Raum stammende Gustav Coppel wurde Geheimrat und später Ehrenbürger von Solingen.
  • Der in Wuppertal lebende Gustav Brück, Gründer der jüdischen Gemeinde in Barmen, überlebte das Dritte Reich nur, weil er mit einer Christin verheiratet war.

Allerdings war Antisemitismus um 1900 herum beinahe alltäglich. Es gab noch keine regelnden Institutionen. Frau Dr. Schrader zeigte in ihrem reichhaltigen und zum Teil extrem selten zu sehenden Bildmaterial eine antisemitische Postkarte aus Borkum, die belegt, dass Juden in Kurorten nicht gerne gesehen waren.

Im zweiten Lüttringhauser Gespräch am 9. November (19:30 Uhr), wird Peter Liebermann, ehemaliger Oberarzt der Stiftung Tannenhof, seine eigenen Erfahrungen zum Thema „Jüdisch sein in Deutschland“ schildern. Der 9. November ist für Deutschland ein geschichsträchtiger Tag. Er markiert den Beginn der ersten deutschen Republik sowie den Fall der Berliner Mauer. Außerdem hat sich dieser Tag als Beginn des Progroms gegen die jüdische Bevölkerung (Reichsprogromnacht) in die Gedächtnisse der Menschen eingegraben.

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