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Wie sah das jüdische Leben „em Dorp“ aus?

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Günter Urspruch referierte bei den Lüttringhauser Gesprächen. Die diesjährigen Lüttringhauser Gespräche hatten das jüdische Leben in Deutschland und speziell im Bergischen Land zum Thema. Seit 1700 Jahren ist dies dokumentiert.

Nachdem die Leiterin der Begegnungsstätte Alte Synagoge, Dr. Ulrike Schrader, im ersten Gespräch über Jüdische Gemeinden im Bergischen Städtedreieck informierte und anschließend Peter Liebermann, ehemaliger Oberarzt an der Stiftung Tannenhof, einen Überblick über das Jüdischsein im aktuellen Deutschland gab, ging es im finalen dritten Teil der Gespräche um das jüdische Leben „em dorp“ und in der unmittelbaren Nachbarschaft. Günter Urspruch, profunder Kenner der Geschichte zwischen Lennep und Ronsdorf, hatte sich bereiterklärt, diesen Vortrag zu halten. Die Gesprächsreihe war in diesem Jahr ausnehmend gut besucht, und auch Günter Urspruch konnte sich über 40 Interessierte freuen. Sein Referat war eine denkwürdige und spannende Mixtur aus Fakten und Anekdoten, die Urspruch aus seinen zahlreichen Unterhaltungen mit Zeitzeugen erfahren hatte. Er selbst, der von sich sagt, er sei weder Literat noch Historiker, ließ auch den Humor in seinem gut einstündigen Referat nicht außen vor.

Günter Urspruch bei seinem Vortrag zu jüdischem Leben em Dorp im Rahmen der Lüttringhauser Gespräche. Foto: Peter Klohs
Günter Urspruch bei seinem Vortrag zu jüdischem Leben em Dorp im Rahmen der Lüttringhauser Gespräche. Foto: Peter Klohs

Belege dafür, wie schnell sich friedliches Miteinander zu Hass entwickeln kann

Das Leben zwischen Christen und Juden im Bergischen sei vor der Reichsprogromnacht 1933 konfliktfrei gewesen, ein geradezu vorbildhaftes Miteinander. „Ich habe in meinen Gesprächen mit den unterschiedlichsten Menschen kein schlechtes Zeugnis über Juden gehört“, sagte Urspruch. Das änderte sich mit Aufkommen des Nationalsozialismus. So gibt es ein Zitat des ehemaligen hohen evangelischen Würdenträgers Otto Sibelius aus dieser Zeit, das besagt, dass die „deutsche Bevölkerung darauf acht haben muss, dass der jüdische Einfluss im Leben geringer sein muss.“ Eins der Belege dafür, wie schnell sich ein friedliches Miteinander zu Hass entwickeln kann.

Nachdem in Jahr 1807 alle Schulen auch für jüdische Mitbürger geöffnet wurden, entwickelte sich das jüdische Leben im Bergischen langsam. Vor 1830 waren Juden in Lennep und Lüttringhausen nur vereinzelt verzeichnet, wobei die jüdische Bevölkerung in Lüttringhausen immer spärlich geblieben ist. 1845 verzeichete Lüttringhausen über 10.000 Einwohner, wovon 2 jüdisch waren. Über 60 Jahre später (Einwohnerzahl 13.500) waren es immer noch zwei. Im Wuppertaler Stadtteil Ronsdorf betrug der jüdische Anteil an der Bevölkerung 0,2%. 1795 gab es 215 jüdische Familien im Herzogturm Berg, bei der Eingemeindung Lüttringhausens 1929 gab es 273 jüdische Menschen in Remscheid, 1944 nur noch 7.

Sehr ausführlich ging Günter Urspruch auf die Familie Löwenthal ein, die aus Garzweiler zugewandert war und sich in Lüttringhausen niederließ. 1845 kaufte die Familie die Häuser Remscheider Straße 8 und 10, die aber nicht lange in deren Besitz blieben. Nachdem die Löwenthals das ehemalige Schulgebäude an der Schmittenbuscher Straße gekauft und später wieder verkauft hatten, zog die Familie – wahrscheinlich aus wirtschaftlichen Gründen – nach Ronsdorf. Die heutige Familiengrabstätte der Löwenthals, im Volksmund als „Jüdischer Friedhof“ bekannt, verzeichnete 1853 die erste und 1909 die letzte Bestattung. „Nach jüdischem Glauben darf eine Grabstätte nur einmal belegt werden“, weiß Urspruch. „Das ist das ‚Ewige Ruherecht‘, was im Christentum auch bei Soldatengräbern Anwendung findet.“ Der Friedhof an der Adolf-Clarenbach-Straße wurde 1939/40 von Lüttringhauser Nazis zerstört und es gibt Gerüchte, dass auch heute noch Grabsteine des zerstörten Friedhofs in Lüttringhauser Gärten stehen. Das mochte Urspruch aber nicht bestätigen. 1949 errichtete die Stadt die Stätte in der heutigen Form. „Ich selbst“, so Urspruch, „habe erst in den 70er Jahren von der Begräbnisstätte erfahren.“

„Die waren eines Tages nicht mehr da.“

Ehemalige Nachbarn der jüdischen Familie Winter.
Günter Urspruch bei seinem Vortrag zu jüdischem Leben em Dorp im Rahmen der Lüttringhauser Gespräche. Foto: Peter Klohs
Günter Urspruch bei seinem Vortrag zu jüdischem Leben em Dorp im Rahmen der Lüttringhauser Gespräche. Foto: Peter Klohs

Der Referent ging ebenso auf den Weg in die Vernichtung ein, den viele Juden im Bergischen gehen mussten. Wie die Familie Winter, die 1920 nach Lüttringhausen kam und an der Barmer Straße wohnte. Gespräche mit ehemaligen Nachbarn erbrachten nur ein: „Die waren eines Tages nicht mehr da.“ Die Familie wurde wie so viele über Wuppertal-Steinbeck nach Theresienstadt deportiert und von dort aus in den Osten, wo sie in Vernichtungslagern wie Treblinka und Konzentrationslagern wie Auschwitz ermordet wurden. Jeder jüdische Bürger hatte für den Transport 65 Reichsmark zu entrichten. Unter vielen namenlosen und unbekannt gebliebenen jüdischen Mitbewohnern traf dies auch auf Dr. Josef Norden zu, der Rabbiner in Elberfeld war, 1935 in den Ruhestand ging und 1943 nach Theresienstadt deportiert wurde, wo er auch durch Mörderhand starb.

Die braune Brut von heute muss mit allen demokratischen Mitteln bekämpft werden.

„Meine Generation“, so Urspruch gegen Ende seines Vortrages, „hat kein Recht, unseren Eltern Vorhaltungen zu machen, sie seien nicht entschieden gegen die Nazis vorgegangen. Und auch, wenn Vergleiche zur heutigen Zeit nicht angebracht sind, so ist doch eins vollkommen klar: Die braune Brut von heute muss mit allen demokratischen Mitteln bekämpft werden.“

Heute zählt die jüdische Gemeinde in Wuppertal 2500 Mitglieder (im gesamten Bergischen Land etwa 3000) und verfügt über drei Friedhöfe. In Remscheid gibt es keine jüdische Gemeinde.

Günter Urspruch und Pfarrerin Kristian Voll bei den Lüttringhauser Gesprächen. Foto: Peter Klohs
Günter Urspruch und Pfarrerin Kristian Voll bei den Lüttringhauser Gesprächen. Foto: Peter Klohs
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