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Ein jüdisches Leben in Deutschland

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Peter Liebermann bei den Lüttringhauser Gesprächen.

Die diesjährigen Lüttringhauser Gespräche sind – zumindest gilt das für die ersten beiden Abende – gut besucht. Auch am 9. November wollten mehr als 40 Besucher im Saal der evangelischen Gemeinde Lüttringhausen den Ausführungen des Referenten lauschen. Peter Liebermann war zu Gast, Mediziner, Psychiater und Psychotherapeut aus Leverkusen, der zum Thema „Jüdisch sein in Deutschland“ tiefe Einblicke in seine Familie gewährte. Für einige Jahre war Liebermann Oberarzt an der evangelischen Stiftung Tannenhof.

„Ich bin unsicher“, gestand Liebermann zu Anfang seines siebzigminütigen Monologs, „weil ich nicht weiß, was Sie erwarten.“ Aber der Referent ist Profi genug, wie sich im Laufe des Abends erweisen sollte.

„Ich war auf dem Gymnasium der einzige Jude“.

Peter Liebermann

Liebermanns Bericht beginnt bei seinen Großeltern, die in Kattowitz lebten und die nicht sehr religiös waren. Auch sein Vater habe in Polen gelebt, zumindest bis 1933, „als es dort als Jude schwieriger wurde“. Liebermanns Vater hat die Deportation überlebt, weil er zu dieser Zeit im Krankenhaus lag. Einige Antisemiten hatten ihn böse verprügelt. Ab dem September 1939 ließ er sich in Großbritannien nieder, wo er als „feindlicher Ausländer“ auch kein leichtes Leben hatte. Die britische Regierung stellte ihn vor die Wahl: Inhaftiert zu werden oder in der britischen Armee zu kämpfen. Er entschied sich für das Letztere. Das führte dazu, dass der Vater Peter Liebermanns zeit seines Lebens ein sehr vorsichtiger Mann geblieben ist. „Er hat mich auch noch mit 80 Jahren beim Überqueren der Straße an die Hand genommen“, berichtet der Mediziner. „Er wollte spüren, dass ich noch da bin.“

Die Shoah wurde in seiner Familie unterschiedlich verarbeitet. Seine Mutter hat darüber geredet, sein Vater nicht.

„Es ist nicht wichtig, ob ich ein Jude bin oder nicht. Wir müssen lernen, uns als Menschen zu begegnen.“

Peter Liebermann

Liebermanns Schilderungen gehen über seine Schulzeit („Ich war auf dem Gymnasium der einzige Jude“.), über nationalsozialistisch geprägte Lehrkräfte auch noch im Jahr 1961, als Peter Liebermann eingeschult wurde, über sein Leben in Köln-Rath, seine Ausbildung als Krankenpfleger, sein Studium und erste antisemitische Schmierereien an der Uni hin zu der Frage, ob man ihn als Juden erkennen könne. „Zerrbilder über Juden sind extrem bedeutsam“, erklärt er. „Juden haben krumme Nasen, zum Beispiel, obwohl ich viele stupsnasige Jüdinnen kenne. Ich trage keine Kippa und keinen sichtbaren Davidsstern. Ich falle nicht auf. Es ist schwierig geworden, sich in Deutschland als Jude zu erkennen zu ergeben. Und wenn man weiß, dass ungefähr ein Viertel der Deutschen antisemitische Einstellungen teilen, dann bekommt das nochmal ein anderes Gesicht.“

"Es war völlig klar, dass ich anders bin", sagt Peter Liebermann bei den Lüttringhauser Gesprächen, "mein Freundeskreis war sehr reduziert." Foto: Peter Klohs
„Es war völlig klar, dass ich anders bin“, sagt Peter Liebermann bei den Lüttringhauser Gesprächen, „mein Freundeskreis war sehr reduziert.“ Foto: Peter Klohs

Die aktuelle Lage der „Zweiten und dritten Generation von Juden nach der Shoah in Deutschland“ sieht er klar und deutlich. „Die zweite Generation nach der Shoah hat Probleme mit Emotionen“, hat der Psychotherapeut erkannt. „Auf der anderen Seite wollen Menschen, die eindeutig Täter waren, zu mir in die Therapie kommen. Sie versprechen sich wohl davon eine Art Vergebung, die ich nicht erbringen kann.“ 

„Wenn man weiß, dass ungefähr ein Viertel der Deutschen antisemitische Einstellungen teilen, dann bekommt das nochmal ein anderes Gesicht.“

Peter Liebermann

Liebermann ist im Wissen des „Anderssein“ aufgewachsen. „Es war völlig klar, dass ich anders bin“, sagt er heute. „Mein Freundeskreis war sehr reduziert.“ Humorvoll geht er auf die vielen freien Tage ein, die er besonders als Schüler genoss. „Da waren Ostern und Pfingsten und all die christlichen Feiertage. Und dann kamen Jom Kippur oder Chanukka hinzu.“ Liebermann versteht sich und sein Leben als einen winzigen Mikrokosmos in der großen und vielgestaltigen jüdischen Welt. „Es ist nicht wichtig, ob ich ein Jude bin oder nicht. Wir müssen lernen, uns als Menschen zu begegnen. Und trotz allem, was hier geschehen ist“, schließt er, „fühle ich mich in Deutschland sicher.“

Günter Urspruch wird am Dienstag, 16. November, mit Antworten auf die Frage „Und wie war das em Dorp?“ das jüdische Leben in Ronsdorf und Lüttringhausen beleuchten. Der langjährige ehemalige Presbyter der evangelischen Kirchengemeinde Lüttringhausen hat sich einen Namen als profunder Kenner der Lokalgeschichte zwischen Ronsdorf und Lennep gemacht.

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